Fachartikel

Wenn Bäume zu nahe an der Grundstücksgrenze stehen: Was Nachbarn verlangen dürfen

Ein Baum zu nah an der Grundstücksgrenze – darf der Nachbar dessen Fällung verlangen? Ein aktueller Fall aus dem Kanton Aargau zeigt, was rechtlich gilt.

Der Fall
Ein Ehepaar kaufte im Kanton Aargau ein Einfamilienhaus. Kurz nach dem Einzug bemerkten sie, dass auf dem Nachbargrundstück eine rund zwölf Meter hohe Schwarzföhre stand – mit nur einem Meter Abstand zur Grundstücksgrenze. Laut dem Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch (EG ZGB) des Kantons Aargau ist das deutlich zu nah.

Das Ehepaar forderte den Nachbarn auf, den Baum zu fällen. Doch dieser weigerte sich. Sein Argument: Die Schwarzföhre sei über 70 Jahre alt, und das Recht, die Entfernung eines Baums zu verlangen, sei nach 30 Jahren verjährt. Das Ehepaar zog vor Gericht – und bekam Recht. Der Nachbar ging in die nächste Instanz und schliesslich sogar bis vors Bundesgericht. Dieses trat jedoch nicht auf den Fall ein, da der Streitwert unter Fr. 30'000.00 lag und keine Verfassungsbeschwerde möglich war (BGE 5A_443/2024 vom 26.3.2025).

 

Was sagen die Gerichte?
Unbestritten war: Der Baum steht zu nahe an der Grenze und verletzt damit die kantonalen Abstandsregeln. Im Kanton Aargau – wie auch etwa im Kanton St. Gallen – müssen hochstämmige Bäume mindestens sechs Meter von der Grundstücksgrenze entfernt sein.

Der Nachbar wollte dennoch verhindern, dass der Baum gefällt wird. Er argumentierte, dass die angeblichen Störungen wie Nadeln und Harz keine «übermässige Belastung» (Immission) seien und man solche Dinge in einem Gartenquartier mit alten Bäumen eben hinnehmen müsse. Ausserdem sei das Recht auf Beseitigung nach 30 Jahren verwirkt – mit Verweis auf ein früheres Bundesgerichtsurteil (BGE 5D_80/2015).

Das Obergericht Aargau sah das anders: Gemäss Bundesrecht (Art. 688 ZGB) dürfen die Kantone eigene Vorschriften zum Grenzabstand von Pflanzen erlassen. Werden diese Abstände nicht eingehalten, kann die Entfernung auch ohne Nachweis einer übermässigen Belastung verlangt werden, sofern der Anspruch nicht verwirkt ist.

Im Kanton Aargau gibt es – im Gegensatz etwa zum Kanton St. Gallen – keine gesetzliche Verjährungsfrist für solche Beseitigungsansprüche. Stattdessen gilt: Wer zu lange untätig bleibt, kann sein Recht verwirken. Als Richtschnur gilt die Frist für die sogenannte ausserordentliche Ersitzung, nämlich 30 Jahre.

Doch ein wichtiger Punkt: Die 30-Jahres-Frist beginnt nach einem Eigentümerwechsel wieder von vorne. Die Duldung des Baumes durch den früheren Eigentümer zählt also nicht. Nur wenn die neuen Eigentümer selbst lange untätig bleiben, kann das zum Verlust des Anspruchs führen. Dieses Prinzip stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 150 III 17).

 

Fazit
Auch wenn ein Baum schon viele Jahrzehnte alt ist – steht er zu nahe an der Grundstücksgrenze, können neue Nachbarn grundsätzlich seine Entfernung verlangen. Entscheidend ist, ob sie ihr Recht zeitnah geltend machen. Das Aargauer Obergericht hat daher die Fällung der Schwarzföhre bestätigt.

 

Haben Sie Fragen oder benötigen Sie rechtliche Beratung? 
Dann kontaktieren Sie unsere Rechtsberatung online oder telefonisch unter 071 227 42 44. Wir sind gerne persönlich für Sie da.

Erfasst | Quelle:

Zurück